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Design und Unternehmensführung

In diesem Interview stellen sich Thorsten Traber, Daniel Severin und Michel Schibler der Frage: Wie können Unternehmen ihr Design-Know-how verbessern?

Design Thinking, Produktdesign, Industriedesign, Modedesign und Organisationsdesign. Überall, so scheint es, geht es heute um Design. Was Design bedeutet, ist jedoch oftmals unklar. Ein Markendesigner versteht darunter etwas anderes als ein Organisationsentwickler.

Was genau müssten Unternehmen also tun, wenn sie ihr Design Know-how verbessern wollen?


Im Gespräch nähern sich Thorsten Traber, Louise Riis Ruggaber und Michel Schibler dieser Herausforderung an. Darin zeigt sich, dass der Designbegriff tatsächlich viele, ja fast schon jeden Bereich einer Organisation betrifft. Aber im Kern geht es um etwas Fundamentales: die Werte und Haltung einer Organisation angemessen zu vermitteln, und zwar so, dass sie ihre Bedürfnisse berücksichtigen. Es gibt also niemals nur Design, sondern immer nur Design von.

HBC Illu Design Fragezeichen

Wenn man heute über Design spricht, kann schnell der Eindruck entstehen, dass eigentlich alles Design ist: vom Smartphone über die Kleidung, die Gestaltung der Arbeitsplätze bis zum Städtebau oder Parteiprogramm. Ist ein solcher Designbegriff überhaupt noch sinnvoll?

Thorsten:

“Der Designbegriff wird in der Tat etwas inflationär benutzt heute. Aber man kann ihn schärfen. Grundsätzlich geht es bei Design schlicht und einfach darum, dass darin die Haltung eines Unternehmens zum Ausdruck kommt. Dabei spielt die Grösse des Unternehmens oder die Branche keine Rolle. Design macht Inhalte, Ideen und Werte erlebbar. Das kann visuell geschehen, aber auch über Düfte, Materialien, Oberflächen, vom geschriebenen Wort bis hin zur Architektur.”

Michel:

“Überall, wo Menschen miteinander oder mit einem Unternehmen in Kontakt kommen, spielt Design eine Rolle. Wie fühlt sich das Produkt an? Wie benutzerfreundlich ist eine Website? Wie sieht ein Geschäftsbericht aus? Gibt es die Möglichkeit zu Feedback, und welchen Eindruck macht die Kundenbetreuung? Wie wird auf Beschwerden eingegangen? Dieses Bewusstsein und Verständnis von Design in einem Unternehmen zu etablieren, ist eine grosse Herausforderung.”

Insight 04

Design ist also ein wesentlicher Aspekt guter Unternehmensführung.

Michel:

“Es zeigt sich, dass Organisationen mit einer hohen Designkompetenz am Markt besser abschneiden als solche, die das nicht haben. Deshalb ist es wichtig, dass Designer nicht nur an Logos rumbasteln, sondern beispielsweise auch auf Führungsebene oder in interdisziplinären Teams in die Gesamtentwicklung einer Organisation einbezogen werden.”

Daniel:

“Dass Design auf Führungsebene gelebt und wertgeschätzt wird, ist auch für Designer wichtig. Denn etwas zu designen bedeutet immer auch, sich zu exponieren. Das braucht Mut und Überwindung. Ein Unternehmen muss eine Kultur entwickeln, die Freiräume für Kreativität ermöglicht.”

Thorsten:

“Zu dieser Kultur gehört auch ein Verabschieden der Annahme, die man übrigens auch häufig bei Kunden trifft, dass der Designprozess schnell gehen muss. Gerade die digitalen Möglichkeiten suggerieren, dass es einfach ist, ein neues Design zu entwickeln.

Es gibt Websites für Logos, für Schriftzüge und solche, die einem individualisierbare Templates für den eigenen Internetauftritt zur Verfügung stellen. Aber Design besteht nicht einfach in einem modernisierten Logo oder einer neuen Anordnung der Angebote auf der Website. Für das Gelingen eines Designs ist es entscheidend, dass man die Werte und Haltungen der Organisation zum Ausdruck bringt, dies kann eben auch in nonverbaler Art, etwa durch ein Web- oder Produktdesign, geschehen.

Der erste Schritt zu einem guten Design besteht also in der Entwicklung dieses Wirkungsbewusstseins. Man muss sich genau überlegen, welche Botschaft man senden und wie man sie wahrgenommen haben möchte. Deshalb ist der Designprozess ein langer, intrikater Prozess, für den man sich Zeit nehmen muss.”

Daniel:

“Hier zu investieren, lohnt sich aber. Nicht zuletzt, weil man dann bei der Umsetzung nicht noch zahlreiche, kostenintensive Extraschlaufen machen muss.”

Das klingt ja fast so, als ob Design matchentscheidend wäre für die Leistung einer Organisation. Aber spielen nicht andere Faktoren wie attraktive Arbeitsbedingungen oder eine hohe Produktqualität eine wichtigere Rolle?

Daniel:

“Ich denke nicht, dass man die Rolle von Design überschätzen kann. Die Digitalisierung trägt einiges dazu bei. Digitale Möglichkeiten wie Plattformen und Foren führen zu einer erhöhten Sichtbarkeit und Vergleichbarkeit fast sämtlicher Tätigkeiten einer Firma. Dadurch steigen die Erwartungshaltungen der Kunden. Das führt natürlich auch zu erhöhten Ansprüchen an die Designkompetenz.”

Thorsten:

“Genau. Wir sind heute völlig überflutet mit Informationen. Mit Design kann man sich, muss man sich differenzieren. Ein gutes Design erlaubt es einer Organisation, sich aus dem egalitären Allerlei herauszuheben.”

Michel:

“Wir haben durch Apps wie Facebook, WhatsApp oder Google einen hohen Anspruch an die Benutzerfreundlichkeit entwickelt und übertragen das nun. Wenn wir etwa ein Konto eröffnen, Kleider einkaufen gehen oder die Steuererklärung ausfüllen, erwarten wir ein angenehmes Erlebnis. Wenn diese Erwartungen, egal ob gerechtfertigt oder nicht, nicht erfüllt werden können und der Kontakt zu der Organisation harzig ist, spielt es letztendlich keine Rolle, wie gut das Produkt ist.

Beispielsweise ist es so, dass die Absprungquote auf Webseiten direkt mit ihrer Ladezeit zusammenhängt. Wir sind es nicht mehr gewohnt zu warten. Gerade weil Design in sämtlichen Touchpoints zu Kunden zum Tragen kommt, ist es wichtig, dass Designer über die gesamte Wertschöpfung hinweg eingebettet werden.”

Thorsten:

“Das ist ein entscheidender Aspekt. Es muss jedes Detail stimmen. Ganzheitliches Denken ist das Schlüsselwort. Wenn ein Stein des Mosaiks fehlt oder am falschen Ort ist, wirkt das ganze Bild irgendwie falsch. Die ganze Erlebniskette (Brand Experience) muss überzeugen.

Die Fashion-Industrie macht das vorbildlich. Dort wird nichts dem Zufall überlassen. Die grossen Fashion Brands haben hochkompetente Teams, deren einzige Aufgabe darin besteht, die Marke über alle Kanäle hinweg professionell zu inszenieren. Die Kunden spüren die Marke somit in sämtlichen Facetten – von den Produkten über die Kommunikation, Fashion Shows, Social Media, Store Design bis hin zur Rechnungshülle. Dadurch entstehen eindrückliche, unverwechselbare Erlebniswelten. Von diesem Markenbewusstsein können andere Industrien noch viel lernen.”

Wir haben nun viel darüber gesprochen, welche Bereiche für Design relevant sind und was das für eine Organisation bedeutet. Aber wie kann ein Unternehmen überhaupt wissen, ob sein Design gut oder schlecht ist? Ist das nicht subjektiv?

Daniel:

“Natürlich hat Design auf visueller Ebene subjektive Aspekte. Ein Design kann gefallen oder nicht – das liegt immer auch im Auge des Betrachters. Aber letztendlich muss ein Design daran beurteilt werden, ob es seine Funktion erfüllt oder nicht. Schafft es ein Design, die Werthaltung des Unternehmens an die Kunden und die Mitarbeitenden zu bringen? Das ist ein entscheidender Indikator.”

Michel:

“Und das lässt sich heute immer besser messen. Über das Verhalten der Kunden auf Websites, Net Promoter Scores, via Social Listening, aber auch mit klassischen Umfragen kann man relativ gut nachvollziehen, welchen Eindruck man hinterlässt. Dies ist auch eine Chance für mehr Agilität und Iteration.

Bedingung dafür ist natürlich, dass man Design dieselbe Relevanz zuschreibt wie etwa Umsatz oder Strategie. Man muss erkennen, dass es sich dabei nicht nur um eine ästhetische Aufwertung handelt, sondern um eine auf die Wertschöpfung einzahlende Massnahme, deren Effektivität man messen kann.”

Daniel:

“Es geht aber nicht nur um den Kontakt zu Kunden, sondern von einem guten Design profitieren auch die Mitarbeitenden.”

Thorsten:

“Gutes und konsistentes Storytelling hilft den Mitarbeitenden, sich mit dem Unternehmen zu identifizieren. Das wirkt sich darauf aus, wie Mitarbeitende sprechen und sich verhalten, auf die Lust an der Arbeit und die Loyalität zum Arbeitgeber. Design ist also nicht zuletzt auch im direkten Kontakt spürbar. Und das wird von den Menschen auch so wahrgenommen. Dadurch findet eine Firma die richtigen Partner. Wenn man intern eine klare Haltung lebt, ist sie auch nach aussen glaubhaft spürbar.”